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4 Fragen an Benjamin Kanngießer

DAS ist meine Börde

4 Fragen an Benjamin Kanngießer

1. Im Herbst dieses Jahres blicken wir auf 30 Jahre friedliche Revolution zurück. Wie hat sich das Leben für Sie persönlich dadurch verändert?Während des politischen Wendejahres war ich selbst in der dritten bzw. vierten Klasse. Als Kind hat man doch eine recht eingeschränkte Sichtweise; viele Vorgänge der damaligen Zeit kann man erst in der Nachschau richtig bewerten und einordnen. Natürlich hat meine Kindheit in der DDR Spuren hinterlassen, durch die kurze Prägung ist mir wie vielen meiner Altersgruppe jedoch der Weg in die freiheitliche Demokratie recht leichtgefallen. Ein Moment, an den ich mich besonders erinnere, ist das Unverständnis, vom Berliner Fernsehturm eine Mauer quer durch die Stadt verlaufen zu sehen. Das war damals nicht leicht zu erklären.2. Welche wesentlichen Veränderungen gingen und gehen damit noch immer für die Stadt/Gemeinde und ihrer Ortsteile einher?Wenn ich mich an das Oschersleben meiner Kindheit erinnere, dann sehe ich etliche Gebäude und Grundstücke, die grau und verfallen waren. Man darf das natürlich nicht mit heute vergleichen. Viele Technologien haben sich weiterentwickelt, städtebauliche Gestaltungskonzepte werden ganz anderen Erfordernissen gerecht als damals. Wenn ich meine Erinnerungen zusammen mit Fotos der Stadt aus der frühen DDR-Zeit betrachte, entsteht für mich ein Bild der Stagnation. Es hat sich nicht besonders viel verändert. Wie bereits erwähnt, schaut man als Kind nicht hinter die Dinge – heute weiß man, wie kritisch der Zustand der Wirtschaft wirklich war, dass die DDR am Rande des Bankrotts stand. Das passt insgesamt zu meinen Kindheitseindrücken. Direkt nach der Wende hat sich das Stadtbild doch erheblich gewandelt – zahlreiche Großbetriebe mit vielen Beschäftigten sind weggefallen. Ich denke da an die Pumpenfabrik, die erfolgreich, aber doch mit dem Verlust vieler Arbeitsplätze privatisiert worden ist, und zum Beispiel das Kleiderwerk. Insbesondere viele Arbeitsplätze für Frauen sind dabei verlorengegangen. Das hat natürlich nicht nur Spuren im Stadtbild, sondern vor allem in der städtischen Gesellschaft hinterlassen. Daran haben wir heute noch zu knabbern. Daneben steht der bereits mit der Wende beginnende demographische Wandel: viele, vor allem junge Menschen, sind weggezogen, geblieben sind vorrangig ältere Einwohnerinnen und Einwohner. Das hat die vielzitierte „Alterung der Bevölkerung“ noch erheblich verschärft. Zugleich hat sich aber auch sehr viel Positives getan: das Stadtbild hat sich recht gut entwickelt und die Menschen haben die gewonnenen Freiheiten gut genutzt. Zugleich stehen wir heute vor ganz anderen Aufgaben, als sie noch bis 1989 bestanden haben – da möchte ich nur auf die Entwicklung des Wohnungsmarktes hinweisen. An Rückbauten, wie sie unsere Wohnungsgesellschaften in den letzten Jahren vorgenommen haben, war damals keinesfalls zu denken. Die Dynamik von Weiterentwicklung und Veränderung sind in der Kommunalpolitik sehr spannende und herausfordernde Aspekte und nur wer bereit ist, sich den Anforderungen zu stellen, kann sie auch lösen und bewältigen.

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Benjamin Kanngießer Foto: Stadt Oschersleben

Bürgermeister der Stadt Oschersleben (Bode)

3. Wie wichtig ist für die Gestaltung der Zukunft in den Städten und Dörfern auch auf die Historie zu schauen und damit auch Traditionen zu bewahren?

Über das „Sein“ und „Werden“ gibt es einige Interessante Zitate – allen gemein ist, dass Geschichte und Zukunft in einer engen Verbindung zueinander stehen. Darum halte ich Geschichte und Traditionen für einen wichtigen Punkt um die Zukunft zu gestalten. Zugleich darf man Traditionen nicht unhinterfragt und statisch vor sich hertragen. Ich denke, man muss Weiterentwicklung und auch Platz für Neues zulassen und in Oschersleben haben wir da eine gute Mischung beisammen. Einerseits haben wir das Museum mit einem Ausstellungsteil zur Stadtgeschichte und auch einem wechselnden Teil, dann haben wir unser Boderennen, das seit einigen Jahrzehnten bereits zum Veranstaltungskalender gehört. Inzwischen erfolgreiche Tradition ist auch der Tag der Regionen – der aber auch einmal „neu“ war und heute eine der bestbesuchten und beliebtesten Veranstaltungen in Oschersleben ist. Der Tag der Regionen ist eigentlich mein Lieblingsbeispiel für das Zulassen von Veränderungen und den daraus entstehenden Gewinn.

4. Welche Traditionen, ob persönlich oder für die Stadt, sind Ihnen besonders wichtig?

Besonders wichtig ist das Bewahren von Familie und Heimatbezug. Viele von uns vermissen wohl den Ort, an dem sie sich aufgehoben und bewahrt fühlen. Durch die zunehmende Mobilität, die Vielfältigkeit der Gesellschaft und die Auflösung enger Familienbindung stehen die Menschen vor der Herausforderung, für sich selbst einen Ort zu finden, wo man „hingehört“, und sich geborgen fühlen kann. Mein eigener Lebensweg hat mich studien- und berufsbedingt immer wieder von Oschersleben weggeführt – zugleich habe ich aber die Verbindung hierher und damit auch zu meiner Familie immer gepflegt und mir damit bewahrt, was gerne als „Heimat“ genannt wird. Immer wenn ich nach Oschersleben gekommen bin, war das für mich Zuhause. Das ist für mich etwas, das ich persönlich wichtig finde und sehr zu schätzen weiß.