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4 Fragen an Mathias Weiß

DAS ist meine Börde

4 Fragen an Mathias Weiß

1. Im Herbst dieses Jahres blicken wir auf 30 Jahre friedliche Revolution zurück. Wie hat sich das Leben für Sie persönlich dadurch verändert?Ich bin davon überzeugt, dass mein Lebensweg einen völlig anderen Verlauf genommen hat, als wenn die Mauer nicht geöffnet worden wäre. Im Zeitpunkt des Mauerfalls war ich neun Jahre alt. Meine Schulausbildung hatte erst vor drei Jahren begonnen. Als Schüler hat man da seine Wochen-Routine: Aufstehen, mit dem Bus zur Schule, Lernen, mit dem Bus nach Hause fahren, Hausaufgaben machen, Abendessen, schlafen. Es ist sehr schwer zu sagen, wie meine Biographie verlaufen wäre, wenn der Mauerfall nicht stattgefunden hätte. Ich bin aber überzeugt, dass ich niemals zum Auswärtigen Amt gelangt wäre, ich keinesfalls die vielen Länder bereist hätte und schon gar nicht mehrere Jahre dort hätte leben können.Als Mensch verklärt man häufig die Vergangenheit, je länger sie zurückliegt, sieht vieles in einem positiveren Licht, als man es tatsächlich damals empfunden hat. Für mich persönlich kann ich sagen, dass ich eine tolle Kindheit in der DDR hatte. Von den Unzulänglichkeiten bekam ich eher weniger mit. Ich bin sehr dankbar für die Möglichkeiten, die sich für mich ergeben haben, die ohne die friedliche Revolution vor dreißig Jahren in der Form sicher nicht möglich gewesen wären.2. Welche wesentlichen Veränderungen gingen und gehen damit noch immer für die Stadt/Gemeinde und ihrer Ortsteile einher?Ein Wettbewerb hieß früher „Schöner unsere Städte und Dörfer“. Ich finde, dass unsere Gemeinden durch die vielen Möglichkeiten nach 1990 erst wieder so richtig schön werden konnten. Man muss heute nicht mehr ewig lange vorher seine Fliesen bestellen, hat Auswahl, welche Fenster man in seinem Haus einbauen möchte, oder braucht auch nicht mehr lange auf ein Auto zu warten oder andere Tauschgüter bereit haben. Die Gemeinden mit ihren Bürgermeistern und Gemeinderäten haben viel unternommen, um ihre Orte zu dem zu machen, was sie heute darstellen. Der Prozess geht natürlich immer weiter. Auch wenn es viele Leute gibt, die heute unzufrieden sind und meckern. Denen kann ich nur sagen: packen Sie selbst mit an und gestalten Sie! Es liegt an jedem selbst, Einfluss auf Veränderungen in der Gemeinde zu nehmen.3. Wie wichtig ist für die Gestaltung der Zukunft in den Städten und Dörfern, auch auf die Historie zu schauen und damit auch Traditionen zu bewahren?Die Historie meines Heimatdorfes Emden liegt mir sehr am Herzen. Ich bin seit 1995 mit der Aufarbeitung und Aktualisierung der Chronik von 1937 beschäftigt. Damit tauche ich tief in die Geschichte und die Geschichten rund um Emden ein. Die Chronik berichtet dabei auch von Traditionen, die früher eine wichtige Rolle spielten, heute aber in Vergessenheit geraten sind. So gab es zum Beispiel die Kirschmusik, ein Volksfest mit Tanz und Getränkeausschank. Durch Ausartungen und Sauferei, die 1857 schließlich in eine Schlägerei zwischen Erxlebern und Emdenern gipfelte, wurde das Fest unbeliebt und letztendlich zwei Jahre später landrätlich verboten. Andererseits begehen wir in Emden das Maifeuer, das seit etlichen Jahrzehnten mit einem Fackelumzug durchs Dorf eröffnet wird, oder das Anglerfest, das Missionsfest (seit 1863) und die Dorfrallye. Emden ist da nur ein Beispiel. Gleiches lässt sich von Zobbenitz bis Hakenstedt, von Beendorf bis Bülstringen nachvollziehen. Dies zeigt mir, dass Traditionen entstehen, sich entwickeln und auch vergehen können. Aber wenn eine Tradition aufhört, findet sich auch eine neue! Wichtig dabei sind insbesondere die Akteure in den Vereinen eines Dorfes und ihr Ideenreichtum. Sie gestalten maßgeblich im Jahresverlauf die Aktivitäten, die aus meiner Sicht das Leben auf dem Land und insbesondere in der Verbandsgemeinde Flechtingen und ihren Mitgliedsgemeinden so attraktiv machen und den Austausch und Zusammenhalt über Generationen und zumeist auch über die eigenen Dorfgrenzen hinaus ermöglichen.4. Welche Traditionen, ob persönlich oder für die Gemeinden, sind Ihnen besonders wichtig?Für mich eine Abgrenzung zu finden, ist sehr schwer. Die Vielfalt unserer Traditionen – es fängt bei geschichts- und heimatbezogenen Vereinen an, setzt sich über Sport- und Feuerwehrvereine fort und hört auch bei technikbezogenen, musischen und kirchlichen Interessengemeinschaften nicht auf – ist scheinbar unbegrenzt. Bei der Menge der Vereine in den Dörfern der Verbandsgemeinde Flechtingen ist sicherlich für jeden Geschmack etwas dabei! Ich kenne viele Leute, die sich bei ihrem Engagement nicht nur auf den eigenen Ort beschränken, sondern auch in Nachbarorten einbringen. Insofern ist für mich die Tradition, sich zu engagieren und einzubringen, nicht nur zu Hause auf dem Sofa sitzen zu bleiben, wohl die aller wichtigste. Denn sie ist die Mutter und Quelle und der Motor aller Aktivitäten in unseren Gemeinden.

DAS ist meine Börde

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Mathias Weiß. Foto: Gemeinde

Bürgermeister der Verbandsgemeinde Flechtingen

Kurioses

Zu seinem Schaden verrechnet

Walbeck (mbu). Kräftig verkalkuliert hatte sich der Gastwirt Hermann Grupe aus Walbeck, wie das Wochenblatt vor 110 Jahren berichtete. Am 30. Mai 1909 schrieb das Blatt: „Flüchtig geworden ist der Rendant der Raiffeisen-Spar- und Darlehenskasse, Gastwirt Hermann Gruppe, mit zirka 6000 Mark. Auf einem Zettel, den er in den völlig ausgeleerten Geldschrank gelegt hat, teilt er dem Aufsichtsrat mit, dass er mit seiner Frau weder in Güte noch mit Gewalt auskommen könne; einer von beiden müsse das Feld räumen. Der Ausreißer ist per Rad nach Helmstedt gefahren. Auf einen an seine Frau gerichteten Zettel schrieb er: ,Komme nicht wieder.‘ G. hat zu seiner Flucht den Tag ausgewählt, an dem genau vor einem Jahr sein Vater sich durch Erhängen das Leben nahm.“

Am 1. Juni war dann in der Zeitung zu lesen: „ Der verduftete Gastwirt G. hat von Düsseldorf aus an seine Frau telegraphiert, dass er eine Badekur machen wolle und in 4 Wochen zurückkehren würde; seine Frau möge die Differenz in der Raiffeisenkasse decken. Bei der Kassenrevision hat sich herausgestellt, dass sich G., der anscheinend die doppelte Buchführung nicht genügend beherrscht, zu seinem Schaden um 16000 Mark verrechnet hat. Dieser von G. herausgerechnete Fehlbetrag, der in Wirklichkeit nicht existiert, hat wahrscheinlich mit zur Flucht beigetragen.“

Kein Wunder also, dass es mit seiner Karriere als Kassenführer vorbei war, denn am 8. Juni war im Wochenblatt zu lesen: „Für den bisherigen Rendanten der hiesigen Raiffeisenkasse, der übrigens von seiner ,Kur‘ wieder zurückgekehrt ist, wurde Herr Molkereibesitzer von der Osten gewählt.“