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Ein Zigeunerlager im Walde bei Wolmirstedt

DAS ist meine Börde

Ein Zigeunerlager im Walde bei Wolmirstedt

Wolmirstedt. Den Aufsatz eines Jungen hat die Wolmirstedter Museumsleiterin Anette Pilz der Volksstimme zur Verfügung gestellt. Er stammt aus dem Jahr 1899 und berichtet über ein Lager, das Zigeuner aus bestimmtem Grund nahe Wolmirstedt aufgeschlagen hatten:Am 3. Pfingstfeiertage wurde unser Ort von einer Zigeunerbande heimgesucht, die in dem nahen Küchenhorn ihr Lager aufschlug und bis zum Sonntag daselbst verweilte. Sie zählte nahe an hundert Köpfe und bestand aus Männern, Weibern und einer großen Zahl von Kindern. Kaum hatte sich die Kunde von ihrer Ankunft verbreitet, da trieb die Neugierde Alt und Jung hinaus zu ihnen. Zu Hunderten sah man Wolmirstedter im Walde beisammen. Ein interessantes Bild bot sich ihnen dar.Die braunen Söhne der Steppe hatten sich bereits einigermaßen für einen mehrtägigen Aufenthalt eingerichtet. Die zuweilen recht stattlichen Pferde waren ausgespannt und weideten vergnügt im hohen Grase. Mit erstaunlicher Schnelligkeit wurden von den Männern an Pflöcken befestigte Zelte errichtet, während die Frauen über dem schnell entzündeten Holzfeuer das wenig appetitliche Mahl bereiteten. Nach Fertigstellung desselben lagerte sich die Bande um das Feuer und nun ergriff jeder sans facon (ohne Umschweife) mit der fünfzinkigen Gabel die einzelnen Fleischstücke, welche die eine der Köchinnen mit einer großen Kelle aus dem Kessel herausholte, und verschlang sie mit leidenschaftlicher Gier.

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Ein Zigeunerlager im Walde bei Wolmirstedt-2
Ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 1899 berichtet von einer „Zigeunerhochzeit“, die bei Wolmirstedt gefeiert wurde.

Aufsatz von einem Jungen aus dem Jahr 1899 / Männer und Frauen feiern erst eine Hochzeit und gehen dann zu einem Begräbnis

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Reizvolle Tänze

Nach beendigtem Mahle zerstreute sich die Sippe unter den zahlreichen Zuschauern.

Noch während die meist halbnackten Kinder durch Tanzen und Betteln, die Weiber durch Wahrsagen in zudringlicher Weise eine Gabe zu erhaschen suchten, sahen die Männer dem Treiben gleichmütig , teilnahmslos scheinbar zu, sich nur durch Trinken und Rauchen die Zeit vertreibend.

Plötzlich kam auch Leben in sie. Einige von ihnen, die in die Stadt gegangen waren Einkäufe zu machen, kehrten soeben mit reichen Vorräten an Fleisch, Brot und Wein zurück. So hatte man sich für die mehrtägige Hochzeitsfeier eines sehr wohlhabenden jungen Paares unter ihnen vorbereitet.

Wenige Augenblicke später traf unsere Stadtkapelle ein, und nun führten die Kinder der Pußta unter den eigenartigen Klängen der ungarischen Volksweisen, die bald ernst und schwermütig, bald wild und leidenschaftlich erklangen, auf. Nationaltänze, die für uns einen eigenartigen Reiz ausübten. Fast ohne Unterbrechung tanzte man in wilder Lust und mit immer größerer Leidenschaft, fast die ganze Nacht hindurch, um das Spiel am nächsten Morgen wieder zu beginnen.

Da plötzlich schwieg die Musik. Ein tiefer Ernst lag auf allen Gesichtern. Was war der Grund dieses plötzlichen Wechsels? Eine der angesehensten Frauen der Sippe war soeben einer Lungenentzündung erlegen. Während die Stammesgenossen keine 20 Schritt von ihr entfernt das Hochzeitsfest begingen, hatte sie nach hartem Todeskampfe ihre Seele ausgehaucht. Nun aber brachte man dem Ernste des Todes den schuldigen Tribut. Die Hochzeitsfeierlichkeiten wurden eingestellt.

Trauermarsch mit Kapelle

Mit entblößtem Haupte umstanden die Männer, in schwarzen Trauerkleidern die nächsten weiblichen Angehörigen, noch wenige Minuten die Leiche, die nach Stunden ein aus Magdeburg herbeigeholter prächtiger Metallsarg aufnahm. Brennende Lichter standen ihm zur Seite. Ein reicher Blumenschmuck bedeckt die Brust der Toten. Nachdem auf telegrafischem Wege noch weitere Angehörige herbeigerufen worden waren, begann am dritten Tage das pompöse Leichenbegängnis. Voraus schritt unsere Stadtkapelle. Unter den ernsten Klängen des von ihr gespielten Trauermarsches, folgte der von vier prächtigen Schimmeln gezogene Leichenwagen. Zu beiden desselben ritten je drei Zigeuner und zuletzt kamen in zwei Kutschen, die mit bunten Seidentüchern geschmückten Leidtragenden. Mit entblößtem Haupte näherten sich die Männer dem ausgemauerten Grabe der Toten, Geld und Erde nachwerfend.

Wenige Minuten später wölbte sich der blumenbekränzte Grabhügel darüber. Die Bande kehrte in den Wald zurück, gefolgt von der Musik. Bis um drei Uhr dauerten die Trauerfeierlichkeiten; dann aber begann der Tanz von neuem.

Erst um Mitternacht suchte man bei dem matten Lichte des herabgebrannten Herdfeuers das Lager auf. In der Morgenfrühe des nächsten Tages brachen sie das Lager ab und zerstreuten sich nach allen Richtungen.